CH: Säkulare Verfassung

FVS-Stellungnahme zum Verfassungsentwurf

Unsere Vereinigung als Dachverband der schweizeri­schen Freidenker-Bewegung schlägt den eidge­nössischen Räten die nachstehenden Änderungen des vorliegenden Verfassungsentwurfs vor:

Präambel

Vorschlag

Ersatzlose Streichung des Satzes "Im Namen Gottes des Allmächtigen!"

Begründung:

1. Die Berufung auf Gott, den Allmächtigen, als Leitgedanke einer Verfassung verfehlt ihren Zweck, wenn sich zwischen ihr und fast allen darin enthaltenen Bestimmungen kein sinnvoller Zusammenhang her­stellen lässt. Was soll beispielsweise die Anrufung Gottes mit den Verfassungsartikeln betreffend Ver­kehr, Raumplanung, Geld - und Währungspolitik zu tun haben, oder etwa mit Bestimmungen über das Steuerrecht der Eidgenossenschaft u.s.w.? Ein Gemein­wesen wie der Staat (Bund oder Kanton) kann eben nur auf ein diesseitiges Zusammenleben und Zusammen­wirken ausgerichtet sein.

2. Die plakative Herausstreichung eines bekenntnis­haften Satzes als Leitgedanke eines Verfassungswerkes bedeutet eo ipso eine verbale Diskriminierung von Personen und Personengruppen, die sich einer diesseitsorientierten, humanitären Weltanschauung verpflichtet fühlen. Diese Diskriminierung steht in Widerspruch zu Art. 7 Abs. 2 des vorliegenden Verfassungsentwurfs.

3. Die auf kirchlichen Druck hin bereits in der geltenden Verfassung festgeschriebene, im vorliegenden Verfassungsentwurf wiederholte Berufung auf" Gott den Allmächtigen" wird von kantonalen Erziehungs- ­bzw. Schulbehörden verschiedener Kantone zur quasi­juristischen Begründung von Gesetzes- und Verord­nungsbestimmungen benützt, denen zufolge die öf­fentlichen Schulen" nach christlichen Grundsätzen" zu führen sind. Dabei wird manchenorts auf eine säuberliche Trennung zwischen religionsneutralem Wissensstoff und christlichem Gedankengut ver­zichtet. -Es wird ein "fächerübergreifender Religionsunterricht " gefordert und propagiert mit der Wirkung, dass die Lehrkräfte der Volkschulen dazu ermuntert werden, in Sachbereichen wie Staatskunde, Physik, Chemie usw. religiöse Bezü­ge herzustellen. Eine bekenntnismässige Indoktrination, von der sich kein Schüler dispensieren lassen kann, qualifiziert sich eindeu­tig als Verletzung von Art. 49 Abs. 2 bzw. Art. 27 Abs. 3 der geltenden Bundesverfassung und steht in Widerspruch zu Art. 12 Abs. 2 des vorliegenden Entwurfs.

Art.7 Rechtsgleichheit Änderungsvorschlag zu Abs. 1

Alle Menschen, natürliche und juristi­sche Personen, sind vor dem Gesetze gleich.

Begründung:

Die Gleichstellung natürlicher und juristischer Per­sonen gemäss den Erläuterungen zum Ver­fassungsentwurf betreffend Art. 7 (letzter Absatz) sollte um der Klarheit willen im Verfassungstext selbst erwähnt sein.

Änderungsvorschlag zu Abs. 2

Ersetzung des Wortes "diskriminiert" durch das Prädikat "benachteiligt oder bevorzugt" .

Begründung:

In dem 1984 veröffentlichten Verfassungsentwurf der Staatsrechtslehrer Alfred Kölz und Jörg Paul Müller ist unter Art. 3 Abs. 2 zu lesen, dass niemand wegen seiner Herkunft, seines Ge­schlechtes, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner sozialen Stellung, seiner weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder Meinung benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. Demgegenüber ist in Art. 7 Abs. 2 des vorliegenden Entwurfs nur die Rede davon, dass niemand wegen der erwähnten Merkmale bzw. Eigenschaften diskriminiert werden dürfe. Sollte diese Divergenz bedeuten, dass es dem Staat (Bund oder Kanton) erlaubt sei, bestimmte Rechtssubjekte bevorzugt zu behandeln? Das kann doch nicht die Absicht der Autoren des Verfassung­sentwurfs 1995 sein.

Art. 9 Menschenrechte (Titelvorschlag)

Neu einzufügen als Absätze 2 und 3 mit Umnummerierung der nachfolgenden Absätze: Jede Person hat ein Recht auf ein würdi­ges Sterben. Das Nähere ordnet ein Ge­setz über Sterbehilfe. Eine Patienten­verfügung ist für jedermann verbind­lich.

Die bürgerlichen Behörden haben dafür zu sorgen, dass jede verstorbene Person schicklich bestattet wird. Über die Bestattungsplätze verfügen die bürger­lichen Behörden.

Begründung:

Das Recht auf ein würdiges Sterben und auf eine schickliche Bestattung zählt zu den unabdingbaren Menschenrechten. Der Satz betreffend die Verfü­gung über die Bestattungsplätze durch die bürgerli­chen Behörden entspricht Art. 53 Abs. 2 der gelten­den Bundesverfassung. Im Hinblick auf die Möglich­keit der Kremation wird hiermit vorgeschlagen, die Wörter "Begräbnisplätze " und "beerdigt" durch "Bestattungsplätze " und" bestattet" zu ersetzen.

Art.12 Glaubens- und Gewissens­freiheit

Neu einzufügen als Absatz 3 mit Umnummerierung der nachfolgenden Absätze:

Niemand ist gehalten, Steuern zu be­zahlen, welche für Zwecke einer Reli­gionsgemeinschaft, der er nicht ange­hört, auferlegt werden.

Begründung:

Dieser Text entspricht dem Wortlaut von Art. 49 Abs. 6 BV, doch sollen gemäss dem obigen Vorschlag nur Angehörigen einer Religionsgemeinschaft Kirchen­steuern der letzteren auferlegt werden können.

Art. 27 Petitionsfreiheit

Änderungsvorschlag für Satz 2

Die Behördenmitglieder haben davon Kenntnis zu nehmen.

Begründung:

Es würde dem Sinn des altehrwürdigen Grund­rechtes der Petition zuwiderlaufen, wenn bei Kollektivbehörden ein Ratsbüro oder eine Kommis­sion darüber befinden könnte, ob die Bittschrift an die Mitglieder des respektiven Gremiums weiterzu­leiten sei, oder ob interne Kenntnisnahme durch das vorgeschaltete Organ (Ratsbüro oder Kommission) dem Rechtsanspruch des Petenten genüge. Dieser darf erwarten, dass seine Anliegen zumindest in Form eines zusammenfassenden Berichts allen Mit­gliedern der angesprochenen Behörde zur Kenntnis gebracht werden. (Vgl. dazu Franz-Xaver Muheim, Diss. Das Petitionsrecht ist gewährleistet, 1981, Ver­lag Rüegger, Diessenhofen, Seiten 58/59, Note 323.3).

Art. 68 Radio und Fernsehen

Änderungsvorschlag zu Abs. 2 Der letzte Satz soll lauten:

Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansich­ten auch der Minderheiten zum Aus­druck.

Begründung:

Das Wort" angemessen" kann willkürlich ausgelegt werden. Es ist deshalb aus dem Text des Verfassung­sentwurfs zu eliminieren. Sodann besteht die Not­wendigkeit, das Recht von Minderheiten auf Berück­sichtigung in den erwähnten Medien in der Verfas­sung festzuschreiben.

Art. 116 Volksinitiative auf Total­revision der Bundesverfassung

Antrag, das bisherige Quorum von 100'000 Stim­men bei dieser Anzahl zu belassen.

Art. 117 Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung

Antrag, das bisherige Quorum von 100'000 Stimmen bei dieser Anzahl zu belassen.

Art. 119 Fakultatives Referendum

Antrag: das bisherige Quorum von 50'000 Stimmen bei dieser Anzahl zu belassen. '

Art 163 Verfassungsgerichtsbarkeit .

Vorschlag Abs. 1 sei wie folgt zu ergänzen:

d. Rechtsfragen im Verhältnis zwi­schen einem Kanton und einer unter seiner Hoheit stehenden reli­giösen Körperschaft.

Begründung:

Die Systematik des Verfassungsrechts verlangt, dass auch für die Behandlung von Rechtsfragen im Ver­hältnis zwischen Staat und Kirche d.h. zwischen einem Kanton und einer unter seiner Kirchenhoheit stehenden religiösen Körperschaft eine richterliche Behörde bestimmt bzw. expressis verbis bezeichnet wird. Diese Rolle kann nur dem" über den Dingen stehenden" Bundesgericht zufallen. Zu seinen Auf­gaben gehörte beispielsweise die Prüfung und Beur­teilung der Rechtsbeständigkeit kirchengeschichtlich begründeter Forderungen (so genannte "Historische Rechtstitel").

Bern 26. Februar 1996 Zentralvorstand FVS

Schlagworte