BGer verneint Anspruch auf generellen Schuldispens aus religiösen Gründen

Das Bundesgericht weist eine Beschwerde von Eltern ab, die der "Christlich Palmarianischen Kirche der Karmeliter vom Heiligen Antlitz" gehören und einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine generelle Dispensation von religiösen Gesängen oder Anlässen (z.B. in der Vorweihnachtszeit) sowie von schulischen Ausflügen an religiöse Orte geltend machten. Das bedeute indessen nicht, dass ihnen eine Dispensation von den bestimmte schulischen Veranstaltungen in allen Fällen verweigert werden dürfte.

Die Vorinstanz erklärte unter Hinweis auf eine Lehrmeinung (HERBERT PLOTKE, Schweizerisches Schulrecht, 2. Aufl. 2003, S. 204), dass das Singen christlicher Lieder vor Weihnachten oder Ostern in der Schule nicht als religiöser - d.h. bekenntnishafter - Akt erscheine, solange dies nicht in einem Übermass geschehe und damit keine Bekehrung beabsichtigt sei. Gleiches gelte für den Besuch von Kultstätten, soweit damit keine religiösen Absichten verfolgt würden.

Der Leitfaden "Religiöse und kulturelle Vielfalt in der Schule" der kantonalen Direktion für Erziehung, Kultur und Sport sieht vor, dass schulische Feiern mit christlichem Hintergrund erlaubt seien, sie aber die religiösen Gefühle andersgläubiger Schülerinnen und Schüler nicht verletzen dürften (Ziff. 5.2). Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann in solchen Fällen je nach den konkreten Umständen eine Dispensation andersgläubiger Kinder - namentlich vom Mitsingen, in der Regel aber nicht von der Anwesenheit im Schulzimmer - geboten sein. Bei der Prüfung von Gesuchen ist auch zu berücksichtigen, dass die Ablehnung der Freistellung die betroffene Familie in die schwierige Lage bringen kann, entweder einem staatlichen oder einem religiösen Gebot zuwiderhandeln zu müssen. Solche Spannungen können die betroffenen Kinder stark belasten und dem Kindeswohl zuwiderlaufen (BGE 119 Ia 178 E. 8a S. 194; 117 Ia 311 E. 4b S. 318; ebenso FELIX HAFNER/ANNE KÜHLER, Schuldispensationen zwischen Religionsfreiheit und "bürgerlichen Pflichten", AJP 2011 918). Eine generelle Verweigerung einer Dispensation vom Singen religiös gefärbter Lieder oder vom Besuch religiöser Orte erschiene demnach unverhältnismässig. Die Schulbehörden sind deshalb gehalten, Dispensationsgesuche der Beschwerdeführer, die sich auf einzelne näher bezeichnete Unterrichtsstunden oder Veranstaltungen beziehen, in deren Rahmen religiöse Lieder gesungen oder religiöse Orte aufgesucht werden, im Licht der ihnen zustehenden Glaubens- und Gewissensfreiheit zu prüfen.

http://jumpcgi.bger.ch/cgi-bin/JumpCGI?id=11.04.2012_2C_724%2F2011  11. April 2012