Pro und kontra Impfpflicht

In der Schweiz und anderen Ländern wird die Impfpflicht aktuell intensiv und kontrovers diskutiert.

Wir verweisen als Beitrag zur Diskussion auf zwei gegenteilige Stellungnahmen, die wir im Mai 2020 für die Rubrik "Pro und Kontra" für unser Magazin frei denken eingeholt haben. 

Pro

PROF. DR. IUR. LORENZ LANGER
Assistenzprofessor für Öffentliches Recht und Völkerrecht Uni Zürich

Momentan wird weltweit mit grossem Aufwand ein Impfstoff gegen das Coronavirus gesucht. Würde ein Impfstoff gefunden, wäre damit angesichts weit verbreiteter Impfskepsis jedoch noch wenig gewonnen. Wäre es zulässig, eine Covid- 19-Impfung für obligatorisch zu erklären?

Eine Impfung ist ein Grundrechtseingriff – sie tangiert die körperliche Integrität, möglicherweise auch die Glaubensfreiheit. Doch die meisten individuellen Grundrechte gelten nicht absolut – sie können eingeschränkt werden, wenn eine gesetzliche Grundlage für die Einschränkung besteht, sie im öffentlichen Interesse erfolgt und verhältnismässig (d.h. erforderlich, geeignet und zumutbar) ist.

Impfgegner bestreiten vehement, dass diese Voraussetzungen je erfüllt sein können – denn sie sind überzeugt, dass Impfungen nicht nur unwirksam, sondern geradezu gefährlich sind. Eine historische Analyse zeigt, dass die einschlägigen Einwände so alt sind wie die erste Impfung gegen Pocken. Oft ist die Ablehnung religiös begründet, teilweise vermischt mit kruden Verschwörungstheorien.

Bemerkenswert ist auch, wie salonfähig es selbst in aufgeklärten Kreisen ist, die Ergebnisse der Impfforschung in Frage zu stellen – auf eine Weise, die beispielsweise im Zusammenhang mit Klimafragen völlig inakzeptabel wäre. So wird etwa die zentrale Rolle der Pharmaindustrie in der Forschung kritisiert. Hier bestehen – wie in anderen Gebieten – durch- aus Interessenskonflikte. Diese müssen überwacht werden, sie rechtfertigen aber keineswegs die Diskreditierung eines gesamten Forschungsfeldes.

Impfungen sind nicht risikofrei. Sie sind aber ein rationales, bewährtes und vor allem solidarisches Mittel, sich selbst und andere zu schützen. In Ausnahmesituation kann ein Obligatorium deshalb gerechtfertigt sein.

Kontra

DR. MED. CHRISTIANE FISCHER
Ärztin und ehem. Mitglied des Deutschen Ethikrats

Gegen Masern wurde in Deutschland eine Imp- fung gesetzlich verpflich- tend eingeführt. Und so- bald es eine Impfung gegen das neue Corona- Virus gibt, wird vermutlich wieder eine Debatte um die Einführung einer Impfpflicht geführt.

Ethisch spricht gegen eine Impflicht: Die Sterblichkeit an Masern beträgt 0,01- 0,1 %. Bei Pocken lag sie bei 30 %. Diese relativ geringe Sterblichkeit rechtfertigt ethisch keine Impflicht.

Eine Impflicht hat keine positiven Auswirkungen auf die Durchimpfungsraten: Vergleicht man die Durchimpfungsraten in Deutschland mit dem Mittelwert derjenigen acht EU-Staaten, in denen schon länger eine Impfpflicht gilt, muss eine positive Auswirkung auf eine höhere Durchimpfungsrate angezweifelt werden. Bei der ersten Masernimpfung lag sie 2017 2% höher. 97% der Eltern in Deutschland entscheiden sich seit Jahren freiwillig für die erste Masernimpfung. Die zweite Masernimpfung bewirkt nur bei denje- nigen einen Schutzeffekt, bei denen die erste Masernimp- fung nicht gewirkt hat. 95% der Kinder, die nur die erste Masernimpfung erhalten, sind schon sicher vor Masern ge- schützt. Trotzdem betrug auch hier der Unterschied 2017 weniger als 1%.

Eine Impflicht hat keine positiven Auswirkungen auf die Erkrankungshäufigkeit: Es gab beachtenswerte Masernausbrüche auch in Ländern mit einer Impfpflicht. Ein Zusammenhang zwischen Impfpflicht und Masernhäufigkeit ist deshalb zweifelhaft.

Jede Impfung greift in die Grundrechte ein: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Jede Impfung an Kindern zu- sätzlich in das Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern.

Die Masernimpfung, die auf individualmedizinischer Ebene hochwirksam ist, führt nicht zwangsläufig zu den erhofften Effekten im Bevölkerungsmassstab.

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