Kt. ZH: Vernehmlassung zum geplanten Fach "Religion und Kultur"

Begleitbrief an den Bildungsrat des Kantons Zürich

Vernehmlassung zum geplanten Fach "Religion und Kultur"

Sehr geehrte Damen und Herren

Wie Sie wissen, beschäftigt uns die Problematik des Religionsunterrichts schon so lange wie die der Verflechtung von Staat und Kirche. Nun hat eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern aus den oben genannten Sektionen die Vorlage des Bildungsrates besprochen und eine Stellungnahme formuliert; diese weist auf Mängel hin und schliesst mit einem Gegenvorschlag.

Sollte die Vorlage dennoch angenommen werden, wären wir froh, wenn unsere Bedenken in entsprechenden Einschränkungen ihren Niederschlag fänden.

Selbstverständlich stehen wir für jede Art von Mitarbeit jederzeit gerne zur Verfügung. Dazu gehört die Vermittlung von Kontakten mit uns persönlich bekannten erfahrenen Fachleuten sowie von weiteren Unterlagen zum diesseitsbezogenen Ethik-Unterricht in Berlin.

Mit freundlichen Grüssen Jürg Caspar Präsident der FVS und der Sektion Winterthur der FVS

Stellungnahme im Rahmen der Vernehmlassung

Stellungnahme der Sektionen Zürich und Winterthur der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS) im Rahmen der Vernehmlassung zum geplanten Fach "Religion und Kultur"

Grundsätzliches

Wir begrüssen das Anliegen des Bildungsrates, Tugenden wie Nachdenklichkeit und Weltoffenheit zu fördern. Es ist wünschenswert, junge Leute zum Nachdenken anzuregen, damit sie über den Zaun vertrauter Ansichten blicken und besser mit Andersdenkenden zurechtkommen können. Dieser Umstand macht aber sogleich deutlich, wie ungereimt es ist, einen Unterricht dieser Zielsetzung mit einer Unterweisung über Religionen zu verquicken, denen aufgrund ihres unteilbaren Wahrheits- und Heilsanspruchs ein unparteiischer Blick über den Zaun verwehrt ist.

In dieser grundsätzlichen Ungereimtheit liegt auch das Unbefriedigende des Konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts, der dem Bildungsrat, wie auch uns, inhaltlich zu eng erscheint; doch grundsätzlich Unbefriedigendes bedarf nicht einer Weiterentwicklung, sondern einer Alternative.

Das Problem der Bevorzugung einer religiösen Haltung

Die Bezeichnung des Fachs und seine inhaltliche Beschreibung verraten eine fragwürdige Stossrichtung, indem sie suggerieren, dass Religion ein neben oder gar über der Kultur stehendes Gut sei. Obschon sich schwerlich überzeugende Gründe dafür finden lassen, ist eine solche Einschätzung zwar möglich; sie darf aber vom Staat nicht einfach als Volksmeinung oder gar selbstverständliche Voraussetzung hingestellt werden. Denn nach allem, was uns Geschichte und Gegenwart lehren, ist Religion vielmehr ein wandelbarer und kritikbedürftiger Teil der Kultur, auf den viele Menschen, auch solche von hohem Ethos, ohne Nachteil verzichten können. Moral ist zwar historisch mit religiösen Vorstellungen verknüpft, aber in der Sache von Religion so verschieden wie Kunst und Wissenschaft; sie setzt auch keine religiösen Überzeugungen voraus. Ethische Fragen im Rahmen eines Religionsfachs für alle zu behandeln ist darum tendenziell irreführend und für Unreligiöse diskriminierend.

Das Problem der Neutralität gegenüber Lehren, die keine Neutralität kennen

Der Bildungsrat versucht diesen Sachverhalten vor allem in zweierlei Hinsicht gerecht zu werden, einmal indem er den Unterricht gemäss Artikel 49 der Bundesverfassung auf eine reine Religionskunde beschränkt und zweitens indem er neben dem Christentum andere Religionen "gleichermassen berücksichtigt". Wir begrüssen diese Absicht, halten ihre Umsetzung aber für unmöglich. Wer soll bestimmen, was unter "gleichermassen" zu verstehen sei? Geht es um blosse Stundenzahlen oder um einen "gerechten" Schlüssel? Schwierigkeiten macht auch die Frage, was als Religion zu gelten hat und was nicht, vor allem bei den sogenannten Sekten (übrigens haben auch die Christen ihre Vereinigung lange Zeit als secta, d.h. Gefolgschaft, bezeichnet), und ob der tolerante Buddhismus eher eine Religion oder eine Philosophie darstellt, bleibt auch unter Gebildeten umstritten. Besonders problematisch ist ferner die Ansicht, dass der Staat die verfassungsmässig nötige klare Trennung zwischen dem "teaching in religion" und dem "teaching about religion" garantieren könne. Eine solche Trennung halten wir erstens für grundsätzlich unmöglich, weil die Behandlung von Wertvorstellungen, wie sie die Religionen umfassen, Wertungen von Lehrenden und Lernenden erfordert, sodass weder ein "teaching in religion" noch ein "teaching against religion" (!) ausgeschlossen werden könnten. Die versuchte Trennung erscheint uns weiterhin als nicht konsensfähig, weil viele zentrale Aussagen, die in einer Religion als unbezweifelbar gelten, für Andersgläubige und Andersdenkende ebenso eindeutig ins Reich der Mythologie gehören. Forschungen namhafter Gelehrter, ungläubiger wie gläubiger, haben bei manchen Dogmen sogar aufzeigen können, dass sie mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht den Tatsachen entsprechen. Ein Beispiel ist die angebliche historische Existenz Jesu, die für den vorurteilslosen Historiker so unglaubwürdig ist wie etwa die des nichtchristlichen "Erlösers" Herakles (vgl. G. A. Wells, "The Jesus Legend", Chicago 1996). Wie sollte sich nun die Lehrperson angesichts solcher Probleme verhalten: sollte sie sie ehrlich erörtern und damit Konflikte mit Schülern, Eltern und Glaubensorganisationen anbahnen? Oder sollte sie im Interesse des Religionsfriedens alle Ungereimtheiten religiöser Lehren teils verschweigen, teils willkürlich umdeuten und damit lehren, alles in der Kulturgeschichte zu Macht und Ansehen Gekommene trotz furchtbarster Folgen unkritisch hochzuachten?

Das Problem der Neutralität der Lehrperson

Würde das geplante Fach eingeführt, so kämen aufgrund ihrer Ausbildung und Verfügbarkeit wohl in erster Linie christliche Lehrkräfte zum Zuge. Das würde eine neutrale Vermittlung von Sachwissen fast verunmöglichen, zumal ja Christen, wie manche Andersgläubige, von ihrer Religion dazu verpflichtet sind, diese zu empfehlen. Es gilt aber auch zu verhindern, dass den Lernenden ein verwässertes oder gar verzerrtes Bild von Religionen geboten wird, selbst wenn die besten friedensfördernden Absichten dahinter stehen mögen. Es ist schon schlimm genug, dass der kirchliche Unterricht vielerorts auf die Behandlung zentraler Themen des Glaubens und insbesondere der Bibel verzichtet, wenn sie geeignet sind, die dunklen Seiten des Christentums zu beleuchten.

Das Problem des Religionsfriedens

Die Befürworter der Vorlage übersehen offenbar, dass der Religionsfriede, den wir heute glücklicherweise haben, nicht auf einem Wissen über Religionen beruht (man denke nur an die dürftigen, wenn überhaupt vorhandenen, Bibelkenntnisse der Kirchenangehörigen!), sondern vielmehr auf der Vernachlässigung anerzogener Glaubenslehren und auf einer Haltung, welche die religiöse Optik für nebensächlich oder bedeutungslos hält. Mit einem Verzicht auf das neue Fach wäre dem Religionsfrieden also eher gedient. Sozialverträgliches Verhalten wiederum kann und muss die Schule ohnehin in jedem Fach fördern, und der Respekt vor dem Anderen ist ein Grundanliegen jeder Art von Bildung.

Die notwendige Vermittlung von Grundwissen

In einem wichtigen Punkt haben die Befürworter des neuen Fachs natürlich Recht, sofern man ihn präzisiert: Im Rahmen einer Allgemeinbildung muss ein Grundwissen über belegbare (!) religionsgeschichtliche und religionsphänomenologische Tatsachen vermittelt werden, wie zum Beispiel über den Einfluss des Islams auf die abendländische Kultur. Da aber der Geschichtsunterricht und die Sprachfächer dieser Aufgabe seit jeher nachkommen, besteht auch in dieser Hinsicht kein Bedarf nach einem obligatorischen Religionsfach. So lehrt etwa Max Frischs zuweilen behandeltes Werk "Andorra" in eindringlicher Weise, wie sich Menschen durch Vorurteile gegen andere Religionsgemeinschaften aufhetzen lassen und wie die Opfer sich dabei fühlen.

Fazit: Das neue Fach führt zu schier unüberwindlichen Problemen

Unsere Argumente legen nahe, dass das neue Fach eine religiöse Unterweisung nicht mit Sicherheit ausschliessen könnte, sodass ein Obligatorium Artikel 49 der Bundesverfassung wie auch Artikel 9 der EMRK von 1950 verletzen würde. Aufgrund der dominierenden Rolle des Christentums wäre zudem der Diskriminierung anderer Religionen und Weltanschauungen Vorschub geleistet. Die Lehrenden hätten oft nur die Wahl, religiöse Konflikte, z.B. mit "fundamentalistischen" Eltern, zu riskieren oder ein beschönigendes Halbwissen zu vermitteln, das eine Einheit der Religionen suggeriert, die es nicht gibt. Die "strikte Unparteilichkeit der Lehrperson", wie sie der Bildungsrat mit guten Gründen wünscht, ist zwar im Sinne der guten Absicht möglich, als de facto bestehende Haltung einer engagierten Lehrkraft aber eine Illusion.

Gegenvorschlag: ein Lebenskunde-Fach

Weil es uns ebenso wie dem Bildungsrat wichtig erscheint, junge Leute zur Toleranz im besten Sinne zu erziehen, d.h. notabene nicht zur Achtung jeglicher Meinung, sondern zur Achtung des Mitmenschen und seines Rechts auf eigene Meinungen, schlagen wir eine Alternative zum Fach "Religion und Kultur" vor: ein Fach, das "Ethik", "Lebensfragen" oder "Lebenskunde" heissen könnte. Zentrale Erziehungsziele wie ein weltoffenes, kritisches Denken und die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls lassen sich in einem solchen Fach eher erreichen als in einem, das die Hochachtung vor Religionen fördern will, die bald die Nichtigkeit, bald die Göttlichkeit des Menschen betonen.

Berlin hat mit dem Fach "Lebenskunde" seit 1982 reiche und positive Erfahrungen gemacht, sodass wir dem Bildungsrat empfehlen, dieses Beispiel zu studieren. Dass es wegen seiner weltlich-humanistischen und antidogmatischen Ausrichtung von den meisten Vertretern der Kirchen nicht gern gesehen wird, liegt auf der Hand; ebenso klar ist aber auch, dass es der Aufgabe eines zu religiöser Neutralität verpflichteten Staates widerspricht, Parteien zu bevorzugen.

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