Evangelikale stellen einen grossen Teil der Pflegeplätze

Beobachter Platzierungen von Pflegekindern in streng religiösen Familien sind keine Seltenheit. Genaue Zahlen fehlen, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass religiöse Familien einen grossen Teil der Pflegeeltern ausmachen. Laut Yvonne Gassmann, Bildungsbeauftragte der Pflegekinder-Aktion Schweiz, gaben bei einer von ihr durchgeführten Studie im Kanton Zürich rund 30 Prozent der Pflegeeltern an, der Glaube habe sie motiviert, ein Pflegekind aufzunehmen.

Philipp Oechsli, Geschäftsleiter der Pflegekinder-Aktion, sagts deutlich: «Wenn wir die Religiösen nicht mehr hätten, hätten wir ein Problem.» Grundsätzlich sei weder die Sektenmitgliedschaft noch das Mittun bei einer fundamentalistischen Gruppierung ein Grund, jemandem ein Pflegekind zu verweigern: «Im Einzelfall kann auch eine Scientologenfamilie oder eine Familie der Zeugen Jehovas geeignet sein.» Yvonne Gassmann ergänzt: Die Verfassung verbiete, Menschen wegen ihrer religiösen Ausrichtung von vornherein auszuschliessen. Und: «70 Prozent aller Betreuungssituationen entstehen in der Verwandt- und Bekanntschaft, bevor der Antrag auf ein Pflegeverhältnis gestellt wird.» Natürlich würden auch diese überprüft: «Wenn die Pflegefamilie einer religiösen Gemeinschaft angehört, muss zum Beispiel sichergestellt sein, dass die Familie soziale Kontakte ausserhalb dieser Gemeinschaft pflegt», sagt Gassmann. «Und es muss über den Erziehungsstil geredet werden, insbesondere darüber, wie die Familie mit Schuld und Strafe umgeht.» In manchen Fällen brauche es dazu schriftliche Vereinbarungen.

Und wenn die Behörden ein Kind aus einer nichtreligiösen Familie so platzieren? «Dann müssen die Herkunftseltern damit einverstanden sein, und man muss das gut vorbereiten und eng begleiten», sagt Gassmann.

Das geschehe nicht immer, sagt Susanne Schaaf, Psychologin und Geschäftsleiterin der Aufklärungsorganisation Infosekta. Ihrer Erfahrung nach tun sich viele Vermittler schwer damit. «Religion gilt als Privatsache, und die wirklich heiklen Fragen zu stellen, zum Beispiel nach der Einstellung gegenüber Homosexualität, geht vielen zu weit.» In den von ihr geleiteten Kursen zum Thema erlebt Schaaf immer wieder, dass viele Betreuerinnen wenig Ahnung davon haben, nach welchen Glaubenssätzen Mitglieder von evangelikalen Gruppierungen leben und wie diese den Alltag prägen.

http://www.beobachter.ch/familie/sozialfragen/artikel/pflegekinder_in-den-haenden-von-freikirchlern/