EGMR: Beschwerde gegen Kirchensteuerpflicht für juristische Person eingereicht

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gegen die Schweiz wegen Verletzung der Religionsfreiheit durch Zwangskirchensteuer für Unternehmen – Konfessionslose, Moslems, Juden und Angehörige sonstiger staatlich nicht anerkannter Religionen müssen die christlichen Staatskirchen finanzieren.

Pressemitteilung des Beschwerdeführers:

Zusammenfassung

Ein selbständig tätiger Informatiker im Kanton Schwyz hat beim Europäischen Gerichtshof Menschenrechtsbeschwerde gegen die Schweiz wegen Verletzung der Religionsfreiheit erhoben, weil seine Ein-Mann-Firma Kirchensteuern bezahlen muss, obwohl er selbst konfessionslos und Atheist ist. Als ein Relikt aus dem Mittelalter dürfen die christlichen Staatskirchen in vielen Kantonen der Schweiz Zwangskirchensteuer von juristischen Personen, also Nichtmitgliedern, erheben. Betroffen sind im besonderen Ausmass Firmeninhaber, die konfessionslos sind oder einer staatlich nicht anerkannten Glaubensgemeinschaft angehören. Die Kirchensteuer muss sowohl von Klein- und Mittelbetrieben als auch von Grosskonzernen und internationalen Firmen bezahlt werden, seien es arabische Banken oder die amerikanische Firma Google. Es geht um jährlich insgesamt mehr als 250 Millionen Schweizer Franken.

Sachverhalt

Seit fünf Jahren kämpft ein selbständig tätiger Informatiker im Kanton Schwyz gegen die Kirchensteuer, die seiner Firma vorgeschrieben wird. Der Informatiker ist konfessionsloser  Atheist und alleiniger Inhaber wie Mitarbeiter seiner Ein-Mann-AG. Es ist ein eklatantes Unrecht und eine Verletzung seiner Religionsfreiheit, wenn er über seine Firma die katholische und evangelische Kirche finanzieren muss. Nachdem alle seine Rechtsmittel bis hinauf zum höchsten Schweizer Bundesgericht abgewiesen wurden, reichte er jetzt eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzung der Religionsfreiheit ein.

In 18 von 26 Kantonen in der Schweiz müssen juristische Personen Kirchensteuer an die staatlich anerkannten Kirchen bezahlen. Diese Kirchensteuer ist verfassungs widrig, weil sie die Religionsfreiheit (Art. 15 der Schweizer Bundesverfassung, Art. 9 EMRK) verletzt. Darin ist sich die überwiegende Mehrheit der Rechtslehre in der Schweiz einig. Im Gegensatz dazu rechtfertigt jedoch das höchste Schweizer Bundesgericht seit 130 Jahren die Kirchensteuer für juristische Personen und hat bislang alle Klagen dagegen abgewiesen. Die Begründung ist einerseits formal-juristisch: Firmen hätten keinen Glauben und könnten sich daher nicht auf die Religionsfreiheit berufen (warum müssen sie dann aber Kirchensteuer bezahlen? Und hinter Firmen stehen immer natürliche Personen, die in ihrem Glauben und Gewissen verletzt sein können!). Andererseits wird die Rechtfertigung der Kirchensteuer offen damit begründet, dass die Kirchen zu einem wesentlichen Teil von dieser Steuer finanziert werden und im Fall einer Abschaffung finanzielle Probleme hätten. Die Kirchensteuer von Unternehmen macht bis zu einem Drittel der Einnahmen der Kirchen aus; im Jahre 2007 waren es in der gesamten Schweiz über 250 Millionen[1].

Die Kirchensteuer für Unternehmen ist einzigartig in Europa, sie stellt ein krasses Unrecht dar und ist ein Relikt aus dem finsteren Mittelalter. Wenn die Religionsfreiheit gilt, dann muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass Kirchen nur von ihren Mitgliedern Beiträge erheben dürfen. Es ist empörend, wenn Nichtmitglieder gezwungen werden können, religiöse Vereine zu finanzieren, deren Anschauungen sie nicht teilen. Klein- und Mittelbetriebe, darunter viele Familienunternehmen, wählen häufig die Rechtsform einer GmbH oder AG in der Schweiz. Bei diesen Unternehmen besteht typischerweise eine persönlicher Bezug der Inhaber zu ihrer Firma.

Wenn die Beschwerde gegen das Schweizer Minarettverbot Erfolg haben sollte, dann müsste umso mehr die viel wichtigere und einschränkendere Zwangssteuer für Nichtmitglieder als menschenrechtswidrig aufgehoben werden!

Der beschwerdeführende Informatiker ruft alle betroffenen Unternehmen auf, sich gegen die Zwangskirchensteuer zur Wehr zu setzen, und regt die Gründung eines überparteilichen und überreligiösen Komitees zur Abschaffung der Kirchensteuer für juristische Personen in der gesamten Schweiz an.

Eine Notiz am Rande: Der Weltkonzern Phillip Morris mit einer Filiale im Kanton Neuenburg, wo die Kirchensteuer freiwillig ist, hat 2010 entschieden, keine Kirchensteuern mehr zu bezahlen. Es widerspreche den internen Spendenrichtlinien des Unternehmens, Organisationen mit religiösem Zweck zu unterstützen.

[1] Siehe: Michael Marti, Eliane Kraft, Felix Walter: Dienstleistungen, Nutzen und Finanzierung von Religionsgemeinschaften in der Schweiz, Zürich 2010.

Kontakt: komitee@bluewin.ch

Anhang

1) Quellen zum vorliegenden Fall2) Entscheidung des Schweizer Bundesgerichtes im vorliegenden Fall3) Allgemeine Beiträge zur Kirchensteuer für juristische Personen4) Bisherige Initiativen zur Abschaffung der Kirchensteuer für juristische Personen
  • 2011, Freiburg, Jungliberale, Volksmotion für eine freiwillige Kirchensteuer für juristische Personen (“Pour un assujettissement facultatif des personnes morales aux impôts ecclésiastiques”)
  • 2011, Thurgau, Motion von SVP-Kantonsrat Vico Zahn: Freiwillige Kirchensteuer für juristische Personen
  • 2008, St. Gallen, Motion SVP: Freiwillige Kirchensteuer für juristische Personen
  • 2007, Bern, Motion Bolli (FDP), „Liberale Lösungen für den Kanton Bern – Religionsfreiheit für Unternehmerinnen und Unternehmer“
  • 2006, Luzern, FDP-Kantonsräte bemühen sich, anlässlich der Verfassungsrevision die Kirchensteuerpflicht von juristischen Personen aus der Verfassung zu streichen.
  • 2005, Zürich, Motion Good (SVP) u. a., Abschaffung der obligatorischen Kirchensteuer für juristische Personen
  • 2005, Zug, Motion SVP verlangt Ersatz Kirchensteuerpflicht von juristischen Personen durch eine Mandatssteuer.
  • 2005, Obwalden, Regierungsrat schlägt bei Teilrevision des Steuergesetzes die Abschaffung der Kirchensteuer für juristische Personen vor. Der Vorschlag wird später zurückgezogen.
  • 2004, Glarner Jungfreisinnige, Forderung zur Befreiung der juristischen Personen von der obligatorischen Kirchensteuer
  • 1996, Zürich, FDP-Motion zur Befreiung von juristischen Personen und Kollektivgesellschaften von der Kirchensteuer.

Position der FVS

7 Thesen zur Kirchensteuerpflicht juristischer Personen